T_D #3: Rebecca Chesney & Lubaina Himid

Wee-weep • Great Favourites at Court

Wee-weep, 2022

P’tsoo-ée, tsoo-ée, tsoo-ée
dür, dür, dür, dür, dür, dür

© Rebecca Chesney, Wee-weep, 2022; digital pattern for hand embroidery on cotton fabric

Im Jahr 1936 veröffentlichten E.M. Nicholson und Ludwig Koch ihr Buch Songs of Wild Birds. Es versucht, uns die Sprache der Vögel durch Transkriptionen ihrer Rufe und Gesänge nahezubringen.
Doch können wir die Schönheiten und poetischen Nuancen des Vogelgesangs wirklich durch eine steif phonetische Darstellung erfassen?
Die Silben mögen vertraut wirken, jedoch sprechen wir die Sprache nicht: Es ist weder meine noch deine Sprache.

Während ihres Aufenthalts im Q21 stickte Rebecca die Transkriptionen von fünf Vögeln aus diesem Buch auf Baumwolle – des Goldhähnchens, des Waldlaubsängers, der Kohlmeise, der Hohltaube und des Kiebitzes.

Wee-weep ist also ein klangloses Kunstwerk über den Klang, der einzig durch Ihre eigene innere Stimme verwirklicht wird, sobald Sie die ‚Worte’ leise oder laut lesen. Wenn der Vogelbestand zurückgeht und die Vögel aus unseren Wäldern und von unseren Wiesen verschwinden, werden dann einzig diese Phrasen bleiben?

— Rebecca Chesney

Great Favourites at Court, 2022

© Lubaina Himid, Great Favourites at Court, 2022; coloured crayon collage and ink on found book

Meine neuesten Arbeiten thematisieren, wie der Kanarienvogel zum Kanarienvogel wurde. Als ich diesen Text in einem Bildband aus dem 19. Jahrhundert las, bemerkte ich, dass viele der vom Autor verwendeten Wendungen Sätzen ähneln, die Historiker*innen bei der Beschreibung gefangener und versklavter Afrikaner*innen und deren Funktion zur Bereicherung Europas verwenden.

Sie wurden in großer Zahl gefangen. 

Sie wurden zu Lieblingen am Hofe. 

Es ist in einigen Fällen belegt, dass sie ein paar Worte artikuliert sprechen lernten.

In vierhundert Jahren hat sich nicht viel geändert.

— Lubaina Himid

DER KANARIENVOGEL

Vor etwa dreihundert Jahren geriet ein Schiff auf seinem Kurs von den kanarischen Inseln nach Livorno im Mittelmeer in einen Sturm und erlitt Schiffbruch an der Küste von Elba. Neben Trockenfrüchten und Gewürzen gehörten zu seiner Fracht auch kleine graugrüne Vögel, die nun auf die Insel entkamen. Sie hätten sich dort wohl in den Hainen und Wäldern niedergelassen, wären sie den Einheimischen nicht durch ihre Lebhaftigkeit und die Schönheit ihres Gesangs aufgefallen. So wurden sie in großer Zahl gefangen und auf dem italienischen Festland verkauft. Dort wurde ihnen dieselbe Gunst wie auf Elba zuteil. Also verbreiteten sie sich rasch in ganz Europa und fanden auch bald ihren Weg nach England, wo sie in den Tagen der „guten Königin Bess“, Elisabeth I., sogar zu den Lieblingen am Hofe wurden. So kam der Kanarienvogel nach Europa.

Jedoch gibt es einen großen Unterschied zwischen den munteren hübschen Sängern, die wir heute kennen, und den unscheinbar gefärbten kleinen Wuslern, die vor so langer Zeit von Elba übergesetzt wurden. Jahrelange Hege und sorgsame Zucht haben ihr Gefieder vom ursprünglich fahlen Graugün der Wildform, das höchstens hier und da noch weiße oder kastanienfarbige Varietäten kannte, zu helleren und bunten Farben verändert. Heute gibt es Kanarienvögel fast jeder Farbe und Farbintensität – vom Weißgelb des „Harzer Rollers“ bis zum leuchtenden Orange des spektakulären „Jonque“. Auch die von Natur aus kräftige und liebliche Singstimme stellte sich als verbesserbar heraus. Da das Gehör des Kanari fein und sein Gedächtnis gut ist, brachte man ihm bei, die variantenreicheren Gesänge anderer Arten zu imitieren. In Deutschland lehrte man ihm die Lieder der Nachtigall, in England jene der Heidelerche und des Finks. Die Fähigkeit des Kanarienvogels nachzuahmen ist so groß, dass in einigen Fällen sogar belegt ist, dass sie ein paar Worte artikuliert sprechen lernten. In Deutschland singt kein Kanarienvogel nur eine Note, die nicht dressiert und perfektioniert wurde. In England hingegen schenkt man die größte Aufmerksamkeit der Zucht elegant geformter und großartig gefärbter Vögel. Was diese beiden Merkmale anlangt, kann kein Kanari auf dem Festland Europas mit jenen aus London, Norwich oder Yorkshire mithalten.

28 Nov 2022—25 Feb 2023
TONSPUR_display
showrooms Q21/MQ Wien
MQ Wien • Museumsplatz 1 • 1070 Vienna
täglich 10:00—20:00
Preview in Anwesenheit von Rebecca Chesney
So 27 Nov 17:00