Paul Brody

5 Mini Operas in Ordinary Language, 2020 • TONSPUR 84

5 MINI OPERAS IN ORDINARY LANGUAGE


Die „5 Mini Operas in Ordinary Language“ (5 Miniopern in Alltagssprache) stellen die klangliche Umsetzung von Brodys Idee dar, dass Alltagsgespräche über genauso viel melodischen Ausdruck verfügen wie Opernarien. Jede Sprechstimme überträgt zwei Hauptnarrative. Das erste operiert mit Worten und dient der Mitteilung des Gesagten, das zweite hingegen ist unabhängig davon, was gesprochen wird. Diese Sprachmelodie wird von der Lebensgeschichte des oder der Sprechenden geformt – vom familiären Hintergrund, der Herkunftsgegend, dem Alter, der aktuellen Stimmungslage, ja sogar genetischen Faktoren. Oft beachten wir dieses Narrativ nicht, weil wir dem Inhalt der Rede folgen. Brodys Werk dreht sich in erster Linie darum, was er „Aushaken der Syntax, Befreiung der Stimme von der Indienstnahme durch Worte“ nennt. Stattdessen soll man die Lebensgeschichte des/der Sprechenden spüren.
Die Sprechmelodie gibt auch den jeweiligen Akzent Preis. Brody indes versteht Akzente als Melodie einer Region, die sich der neuen Sprache aufprägt. Der wichtigste Import von EinwanderInnen ist nicht unbedingt ihr Essen oder ihr Kleidungsstil, sondern die immer durchscheinende Sprachmelodie des verlassenen Landes. So kann sich der Sound einer Straße von einem auf den anderen Tag verändern.
Bei der Komposition der „5 Mini Operas“ stützte sich Brody auf die Sprachmelodien von Interviewten, um die opernhafte Qualität ihrer Stimmen herauszuarbeiten. Alle haben einen Akzent, mit dem sie darüber berichten, wie sie etwas im Leben fanden, das sie lieben und das ihnen ein „inneres“ Heimatgefühl gab.
Brody beschäftigt sich ausgiebig mit jüdischer Musik. In dieser Tradition ist der „Nigun“ eine Melodie ohne Worte. Man singt „wortlose Lieder“, weil die Melodie die Singenden mit Gott in Berührung bringt.
Die Opernsängerin Anna Prohaska erzählt von ihrer Kindheit, als ihre Familie von Stadt zu Stadt zog, weswegen sie zeitlebens einen fremden Akzent hatte. Der Filmemacher Dani Levy bringt uns von einem gutturalen Schwyzerdütsch einer Kleinstadt mitten ins urbane Berlin. Die Schauspielerin Jelena Kuljić beschreibt ihre konfliktreiche Beziehung zur serbischen Volksmusik. Die Pariser Radioproduzentin Chloé Kobuta sucht in einer Anekdote nach der Liebe. Und Paul Brody selbst erzählt, wie er anhand der unveröffentlichten Autobiographie seines Großvaters Deutsch zu lernen versuchte, wobei er seine Schwierigkeiten mit der Sprache dadurch sublimierte, dass er einzelne Zwischenworte auf der Trompete spielte. Passagen aus dem Buch des Großvaters sind Teil seiner Erzählung.
Paul Brody

INTERVIEW
Paul Brody und Georg Weckwerth im Gespräch (Video Romina Achatz).
youtube.com

BIOGRAPHIE
Paul Brody, geboren 1961 in Seattle, Washington, USA, lebt und arbeitet in Berlin. 74. TONSPUR-Artist-in-Residence im Q21/MQ.
paulbrody.net

TONSPUR 84

  • Paul Brody [US]*
  • 5 Mini Operas in Ordinary Language, 2020*
  • 8-Kanal Klangarbeit, 7-teilige Bildstrecke
  • Dauer 14:02 min
  • Konzept, Texte, Interviews, Aufnahmen, Komposition, Klanggestaltung,
  • Bildstrecke: Paul Brody
  • Fotos Passagengalerie: Dirk Hasskarl
  • Stimmen: Anna Prohaska, Dani Levy, Jelena Kuljić, Chloé Kobuta,
  • Paul Brody, Christoph Schobesberger
  • Musiker: Melissa Coleman (Cello), Michael Rodach (Gitarre),
  • Roman Britschgi, Martin Lillich (Kontrabass), Paul Brody (Trompete,
  • Posaune, Klavier), Mark Kovnatsky (Geige), Verena Wehling (Bratsche),
  • Michael Griener (Schlagzeug), Valentin Butt (Akkordeon), Jelena
  • Kuljić (Gesang) Programmierung: Clueso
  • Tonmischung: Jens Tröndle
  • Paul Brody’s Erzählung: Carol Scherer (Mitautorin)
  • Wien Text: Hugo Wolf (Schnitt Josh Barkan)
  • Produktion: TONSPUR Kunstverein Wien für die Reihe
  • TONSPUR für einen öffentlichen raum
  • Besonderer Dank: Carol Scherer, David Marton, Kevin Barz, Robbie Grunwald, Josh Barkan, Michael Giebl
  • *74. TONSPUR-Artist-in-Residence im Q21/MQ