SABINE GROSCHUP: CAGE WITHOUT CAGE & MC and the poodle’s charm

Unter dem Titel »CAGE WITHOUT CAGE« präsentiert Norrlandsoperan vom 25. August bis zum 25. Oktober Werke der in Wien lebenden Künstlerin, Filmemacherin und Autorin Sabine Groschup. Die multimediale Schau im Ausstellungsraum Vita kuben – erweitert um eine Maria Callas anlässlich ihres 100. Geburtstags gewidmete, raumgreifende Installation im Foyer des Opernhauses – umfasst Film, Konzeptkunst, Fotografie, Animation, Installation, Lyrik, Textil- und Klangkunst.

Im Zentrum der Ausstellung von Sabine Groschup, eine Schülerin der bedeutenden österreichischen Künstlerin Maria Lassnig, steht ihr Werkkomplex zu John Cage’s »ORGAN2/ASLSP« in der St. Burchardi Kirche im deutschen Halberstadt. Der Werkkomplex ist gleichzeitig ein andauernder Work in Progress, der vor 20 Jahren seinen Ausgang nahm. Damals begannen die Dreharbeiten zu Groschups Experimentalfilm »(JC{639})«, der die weltweit beachtete, 639 Jahre dauernde Aufführung (2001–2640) von Cages Komposition in beeindruckenden Bildern und grandioser Tongestaltung dokumentiert. Für den Film wendet Groschup dabei einen für das Medium Film wohl einmaligen Kunstgriff an, der wiederum direkt auf John Cage verweist: Sie überlässt dem Zufall den Ablauf ihres Films über das “so langsam wie möglich” zu spielende Musikstück (ASLSP = As SLow aS Possible).

»(JC{639})« feierte 2012 anlässlich des John Cage Centennials Weltpremiere und war Bestandteil wichtiger Ausstellungen über den Jahrhundertkünstler. Seither vermittelt der Film in einzigartiger Weise die generationenübergreifende Aufführung in Halberstadt. Gleichzeitig arbeitet Groschup an der Realisation von insgesamt 89 Variationen des Films, analog der 89 Töne in Cages Komposition. Zufallsoperationen durch geladene Gäste mit Bezug zu John Cage bilden dabei das Fundament für immer neue Schnittfassungen des gleichen filmischen Ausgangsmaterials, von Groschup in 89 Clips strukturiert; beziehungsweise öffentliche Zufallsziehungen im Kontext von Ausstellungen ihres Cage-Werkkomplexes (2013 Halberstadt; 2016 Innsbruck; 2022 Augsburg).

Die im Rahmen der Ausstellungseröffnung von »CAGE WITHOUT CAGE« am 24. August 2024 in Umeå realisierte vierte öffentliche Zufallsoperation ist die 73. Filmvariation von »(JC{639})«. Diese wird in der Ausstellung mit dem originalen sechsteiligen Ziehungsprotokoll sowie der von 89 Personen per Zufall in Reihung gebrachten und signierten 89 Clipkarten dokumentiert. Als Projektion zu sehen ist Filmvariation #1, für die der tschechische Kurator und Cage-Experte Jozef Cseres mit seiner Zufallsoperation aus dem Jahr 2012 verantwortlich zeichnet.

Groschups in der Sammlung der John-Cage-Orgel-Stiftung befindliche fünfteilige Leinwandarbeit »My ORGAN2/ASLSP – A work in progress for the next …« (2013/2022) – in Umeå ausgestellt ist die Artist Copy des Werks – visualisiert die Dimension des John-Cage-Orgel-Kunst-Projekts Halberstadt mit Mitteln der bildenden Kunst. Die Künstlerin druckt die zuvor digital von jeder Note befreite Notation in doppelter Größe auf Leinwand und stickt von Hand, den jeweiligen Klangwechseln in Halberstadt folgend, die seit 2001 aufgeführten Teile der Komposition in ihr ein. Es ist Groschups eigene Variante eines generationenübergreifenden Projekts, das partizipativ angelegt auch nur partzipativ vollendet werden kann.  

Mit »My ORGAN2/ASLSP : Soundpic Edition #1–639« (seit 2016) geht Groschup den umgekehrten Weg.  Abermals lädt sie Künstlerkollegen, Freunde und am entstehenden bildnerischen Werk interessierte Menschen ein ihr persönliches Klangjahr mittels Zufallsziehung zu bestimmen. Dieses stickt sie unübersehbar auf eine Leinwand mit einem Foto aus der St. Burchardi Kirche und überträgt ebenfalls gestickt den Titel der Notation »ORGAN2/ASLSP«, den Namen des Komponisten John Cage, den Namen des Zufallsoperanten und last but not least den Ausschnitt der Partitur, der in dem jeweiligen Jahr in der Halberstädter Aufführung zu hören sein wird. Groschups Konzeptansatz hier ist der folgende: sind alle Jahre einer Person zugordnet und die Fotoleinwände von ihr bestickt, repräsentieren die in chronologischer Reihung installierten 639 »Soundpics« (Klangbilder) die gesamte Partitur – erweitert um den beeindruckenden Klangraum der St. Burchardi Kirche, auf ebenso viele unterschiedliche, von Groschup aufgenommene Fotos gebannt. Rund 200 Jahre sind bereits vergeben, bald 100 Arbeiten von Groschup produziert. In der Ausstellung werden zehn für Umeå hergestellte »Soundpics« erstmals öffentlich präsentiert.

2016 realisierte Groschup unter dem Titel »My ASLSP : John Cage’s “As Slow as Possible” for Piano or Organ Solo« für ihre Einzelausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum erstmals eine Installation mit einem Yamaha Disklavier (Player Piano). Die Arbeit hat zum Ziel, das von John Cage 1985 ursprünglich für Solo Piano komponierte Stück »ASLSP«, das von Cage auf Wunsch des bedeutenden deutschen Organisten Gerd Zacher 1987 für Orgel transponiert wurde, verstärkt ins Blickfeld zu rücken, nachdem »ORGAN2/ASLSP« durch das Cage-Projekt in Halberstadt Weltbekanntheit erlangt hat. Zu hören und zu erleben ist »ASLSP« in der Ausstellung in einer von der österreichischen Pianistin Manon-Liu Winter 2016 in Wien eigens eingespielten Fassung für Disklavier.

Abgerundet wird die Schau durch mehrere Pflanzeninstallationen im Zusammenspiel mit Fotografien aus Cages Appartment in Manhattan, New York. Als Titel für diese sehr persönliche Reminiszenz an Cage verwendet Sabine Groschup Zitate von Cage, die seiner Leidenschaft für Botanik Ausdruck verleihen. O-Ton der Pflanzenliebhaberin Groschup: Die Zitate könnten auch von mir stammen.

Sabine Groschups »CAGE WITHOUT CAGE« – ihr Titel variiert Nam June Paiks berühmte Videoinstallation »Cage in Cage« von 1999 – gleichzeitig ist es die erste Zeile ihres John Cage gewidmetes Taschentuchgedichts (TGg #20), das als handgesticktes Original im Format eines Mesostichons den Ausstellungsraum ziert – ist die erste Einzelausstellung der gebürtigen Innsbruckerin in Schweden.

Vita kuben //
Norrlandsoperan, Umeå, Sweden
Curated by Georg Weckwerth, invited by Helena Wikström
25.8.–25.10.2024